Der Entwurf der europäischen Verpackungs- und Verpackungsabfallverordnung (PPWR) ist grundsätzlich geeignet, die Verpackungs-Kreislaufwirtschaft im europäischen Binnenmarkt wesentlich voranzutreiben. Einheitliche Vorgaben für die Gestaltung kreislauffähiger Verpackungen tragen zu einem „Level Playing Field“ für die Akteure der Wertschöpfungskette Verpackung und zur Etablierung eines echten Sekundärrohstoffmarktes in Europa bei.
Der Vorschlag enthält jedoch auch problematische Aspekte: So werden zentrale Entscheidungen, etwa in den Bereichen Rezyklateinsatz, Recyclingfähigkeit sowie Einschränkung von Verpackungsformaten
auf die Ebene von Delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten verlagert und damit der EU-Kommission zugeordnet. Dem notwendigen Einbezug des Europäischen Parlaments wird damit nicht Rechnung getragen. Zudem fehlt für einige Maßnahmen mit hoher Eingriffsintensität in die Entscheidungsfreiheit von Unternehmen – etwa Mehrwegquoten und Verpackungsverbote – der wissenschaftliche Nachweis der resultierenden ökologischen Vorteile. Entscheidungen von dieser Tragweite
sollten jedoch auf Basis vergleichender Ökobilanzen getroffen werden. Der Vorschlag etabliert zudem eine Reihe neuer Dokumentations- und Überprüfungspflichten, insbesondere für Hersteller und Händler, die in der Summe beträchtliche Bürokratiekosten für Unternehmen nach sich ziehen würden.
Die AGVU empfiehlt Anpassungen in den folgenden Bereichen:
Recyclingfähigkeit (Art. 6)
Der Artikel schafft die rechtliche Grundlage für einheitliche Designanforderungen für Verpackungen mit Blick auf ihre Recyclingfähigkeit. Dieses wichtige Vorhaben hat das Potenzial, die Recyclingquoten für Verpackungen signifikant zu steigern. Die Regelungen können jedoch auch zu hoher Komplexität führen: Vorgesehen ist eine Differenzierung zwischen 30 Verpackungsmaterialien bzw. – kategorien (Annex II, Tabelle 1); innerhalb der Kategorien erfolgt wiederum eine Abstufung der Anforderungen nach fünf Performanceklassen (A-E; Annex II, Tabelle 2). Die Unterteilung in Verpackungskategorien ist unvollkommen und sollte angepasst werden – so wird bei Kunststoff in 18 Kategorien, bei Papier/Pappe beispielsweise nur in zwei Kategorien unterschieden. Dies wird der tatsächlichen Materialvielfalt nicht gerecht. Dennoch muss die Notwendigkeit derartig detaillierter Unterteilungen kritisch geprüft und mit dem zu erwartenden Aufwand für die Verpackungshersteller bei der Erstellung der geforderten Konformitätserklärung (Art. 6.8. i.V.m. Annex VII) ins Verhältnis gesetzt werden. Die Speicherung der Konformitätserklärungen sollte zudem auch digital erfolgen dürfen.
Notwendig ist zudem ein festes Zieldatum für die Vorlage der Delegierten Rechtsakte zu den konkreten Designanforderungen und den Vorgaben für die Lizenzentgelt-Modulierung, um Rechtssicherheit für die Hersteller herzustellen. Bei der Erarbeitung aller Delegierten Rechtsakte sollten zudem Expertinnen und Experten aus den Unternehmen der Wertschöpfungskette Verpackung in einen institutionalisierten, transparenten Prozess, etwa nach Vorbild der Entwicklung des deutschen
„Mindeststandard Recyclingfähigkeit“, eingebunden werden. Im Bereich Design-for-Recycling sollte das Ziel dieses Prozesses sein, einen CEN-Standard für alle Verpackungsmaterialien zu erreichen, der eine Harmonisierung der Bemessung von Recyclingfähigkeit sicherstellt und bereits existierende Design-for-Recycling Vorgaben angemessen berücksichtigt.
Rezyklateinsatz (Art. 7)
Um ein einheitliches Verständnis des Begriffs Rezyklat zu gewährleisten, sollte sich der Text der Verordnung explizit auf eine international anerkannte Norm (zum Beispiel DIN/ISO 14021:2016(E)) beziehen. Die vorgesehenen Rezyklateinsatzquoten für kontaktsensitive Materialien aus Nicht-PET sind nach aktuellem Stand nicht erfüllbar, da keine entsprechenden Recyclingprozesse zugelassen sind. Ein Abweichen von der Quote ist zwar im Falle einer fehlenden Autorisierung bestimmter Technologien möglich (Art. 7.9), liegt aber allein im Ermessen der EU-Kommission. Dieser Artikel sollte dahingehend geändert werden, dass die Quote für kontaktsensitive Materialien aus Nicht-PET nur dann in Kraft tritt, wenn die Zulassung entsprechender Recyclingprozesse bis zu einem bestimmten Datum erfolgt ist. Falls die Erfüllung der Quote teilweise über sog. chemisches Recycling angestrebt wird, sind entsprechende Technologien klar zu definieren und ihre Voraussetzungen
und Bedingungen festzulegen. In der Abfallrahmenrichtlinie sollte gleichzeitig aufgenommen werden, dass chemisches Recycling in der Abfallhierarchie unterhalb des werkstofflichen Recyclings
einzuordnen ist. Darauf bezugnehmend ist in der Verpackungsverordnung festzulegen, dass sich die Gestaltung von Verpackungen an der werkstofflichen, nicht an der chemischen Recycelbarkeit ausrichtet.
Für den Fall mangelnder Verfügbarkeit von Rezyklaten sollten die Bedingungen, unter denen die EU-Kommission Abweichungen von den vorgesehenen Rezyklatquoten verfügen kann, konkret definiert werden (Art. 7.10.). Für die Möglichkeit der EU-Kommission, für weitere Materialien Rezyklateinsatzquoten festzulegen (Art. 7.11), sollten im Verordnungstext Voraussetzungen genannt werden, etwa das Feststellen einer unzureichenden Marktfunktion bei den entsprechenden Materialien.
Art. 7.1 regelt die Berechnung der Rezyklatanteile mit Bezugnahme auf jede einzelne Verpackung. Diese Vorgabe steht im Widerspruch zu den Vorgaben der Berechnung der Rezyklatanteile in PET-Flaschen in der europäischen Einwegkunststoffrichtlinie: Dort ist der Anteil als „Durchschnitt aller im Hoheitsgebiet des im jeweiligen Mitgliedstaat in Verkehr gebrachten PET-Flaschen“ zu berechnen (Art. 5.a EU 2019/904). Gerade bei mangelnder Verfügbarkeit geeigneter Rezyklate verringert eine Berechnung auf Produktbasis die Chancen auf Effizienz bei der Beschaffung und im Einsatz von Rezyklaten. Auch angesichts der relativ knappen Frist von drei Jahren zwischen Veröffentlichung der Rezyklatanteil-Berechnungsmethodik und dem Inkrafttreten der Quoten ist dies problematisch. Es sollte den Herstellern daher freigestellt werden, den Rezyklatanteil auf Produktbasis oder im Durchschnitt der Gesamtmenge der Produkte, die sich im Anwendungsbereich einer der Quoten nach Art. 7 befinden, zu berechnen.
Verpackungsminimierung (Art. 9)
Die vorgeschlagene Methodik der Verpackungsminimierung ist grundsätzlich nachvollziehbar, problematisch ist jedoch die vorgesehene Pflicht für Hersteller, einen Übereinstimmungsnachweis für jede einzelne Verpackung zu führen. Der Aufwand, rechtssicher nachzuweisen und zu dokumentieren, dass eine Verpackung nicht kleiner oder leichter sein kann, als sie tatsächlich ist, erscheint gerade für kleine und mittlere Unternehmen unverhältnismäßig.
Auf eine standardmäßige Dokumentation der Verpackungsminimierung sollte verzichtet werden. Stattdessen könnten die zuständigen Behörden befugt werden, stichprobenartig oder bei begründeten Zweifeln Nachweise bei Unternehmen anzufordern. Auch auf diesem Wege kann sichergestellt werden, dass die Verpackungsminimierung nach den Kriterien aus Annex IV erfolgt.
Insbesondere im Bereich Lebensmittelverpackungen müssen die Vorgaben zur Verpackungsminimierung mit anderen politischen Initiativen kohärent sein. Sie müssen u.a. jene Maßnahmen berücksichtigen, die im Rahmen der Verordnung über Materialien mit Lebensmittelkontakt und Initiativen im Rahmen von „Farm to Fork“ verfolgt werden, um Lebensmittelabfälle im Einzelhandel und in Privathaushalten bis 2030 zu halbieren.
Verbote von Verpackungsformaten (Art. 22)
Verbote von bestimmten Verpackungsformaten sind eingriffsintensive Maßnahmen. Sie betreffen nicht nur Hersteller, sondern auch Verbraucherinnen und Verbraucher. Es müssen daher anspruchsvolle Anforderungen an die Rechtfertigung von Verboten gelten. Im Verordnungsentwurf erscheint die fehlende Transparenz der Auswahl- und Beurteilungskriterien der zu verbietenden Verpackungen problematisch. Auch erfolgt keine wissenschaftlich fundierte Bezugnahme zu etwaigen ökologischen Vorteilen, die aus den Verboten erwachsen.
Der Blick auf die Wirkung der Verpackungsverbote in der europäischen Einwegkunststoffrichtlinie zeigt, dass Alternativprodukte nicht zwingend ökologisch vorteilhafter sind. Ein Verbot von kleinen Verpackungsformaten ist mit Blick auf die generelle Zunahme von Ein- und Zweipersonenhaushalten und dem notwendigen Lebensmittelschutz ökologisch nicht zielführend. Auch das vorgeschlagene Verbot nicht-kompostierbarer Kaffee- oder Teesystem-Einzelportionseinheiten, die zusammen mit dem Erzeugnis verwendet und entsorgt werden, (Art. 8.1. i.V.m. Art. 3 (1) Buchst. f u. g) muss nach der Verhältnismäßigkeit und den zu erwartenden ökologischen Effekten beurteilt werden. Es ist nicht belegt, dass kompostierbare Lösungen in Bezug auf die Umweltauswirkungen besser abschneiden als Recyclinglösungen. Ein großer Anteil der Zubereitungssysteme auf dem Markt ist nicht auf kompostierbare Einzelportionseinheiten umrüstbar; bis zu 140 Millionen funktionierende Kaffee- oder Teemaschinen in EU-Haushalten würden unbrauchbar und müssten ersetzt werden – womit ein hoher zusätzlicher Ressourcenverbrauch entstünde. Art. 8.1. sollte dahingehend geändert werden, dass die betreffenden Produkte 24 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung entweder recyclingfähig oder kompostierbar sein müssen.
Grundsätzlich empfiehlt die AGVU, Verpackungsverbote gänzlich aus dem Verordnungstext zu streichen. Die Ressourcenminimierung bei Verpackungen kann besser justierbar, effizienter und gleichzeitig effektiv über ökonomische Anreizinstrumente erreicht werden.
Wiederverwendbarkeit (Art. 23-26)
Gut konzipierte Wiederverwendungssysteme können in bestimmten Bereichen zu Ressourcen- und Materialeinsparungen beitragen. Allerdings bringen Mehrwegsysteme nicht in jedem Fall einen ökologischen Vorteil gegenüber Einwegsystemen. Grundlage für Vorgaben von Mehrwegquoten sollten daher geeignete ökologische Bewertungen, beispielsweise LCA (Life Cycle Assessment), sein. Den Mindestanforderungen für Mehrwegsysteme (Annex VI) sollten zudem Kriterien hinzugefügt werden, die für einen möglichst niedrigen CO2-Fußabdruck sorgen, etwa hinsichtlich einer Minimierung der Mehrweg-Transportwege.
Die im Verordnungsentwurf vorgesehene Gleichstellung von Verpackungen für private Nutzer mit Verpackungen für gewerbliche Nutzer ist nicht nachvollziehbar und nicht sachlich zu rechtfertigen. Hier bedarf es – ebenso wie für Transportverpackungen – einer weiteren Differenzierung bezüglich des Verwendungszwecks und der Füllgüter. Einige der vorgeschlagenen Mehrwegziele, insbesondere für Transportverpackungen, sind zudem zu hoch und faktisch kaum erreichbar. Art. 26, Abs. 12 legt beispielsweise eine Quote von 100 % bereits ein Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung fest. Ihre Realisierung wäre selbst bei umfassenden und abrupten Umstellungen der Unternehmensprozesse und bei enorm hohem Kostenaufwand kaum möglich.
Transportverpackungen, insbesondere Kunststofffolien und PPK-Produkte, sind meist sehr gut recycelbar. Da die Recyclingfähigkeit maßgeblich durch das Füllgut bestimmt wird, ist hier eine entsprechende Differenzierung notwendig. Auf die Aufzählung von „beispielhaften Transportverpackungen“ sollte verzichtet werden, denn einige der ausdrücklich genannten Verpackungen sind nach Definition in Art. 3 Abs. 4 nicht als Transportverpackungen einzustufen, da sie direkten Kontakt
zum Füllgut haben („pails“ – Artikel 26.7.; „canisters“ – 26.12; „drums“ – 26.7., 12 u. 13.). Die im Verordnungsentwurf vorgesehenen Mehrweg-Ziele sollten insgesamt – im Austausch mit den betroffenen Unternehmen – auf Notwendigkeit, Umsetzbarkeit und finanzielle Implikation überprüft
und gegebenenfalls abgesenkt werden.
Februar 2023
Das Positionspapier gibt es auch hier als Download :